Was ist anthroposophische Musiktherapie?


Seit ihren Anfängen in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich die anthroposophische Musiktherapie in viele verschiedene Richtungen erweitert. Begann es damals in der Heilpädagogik, so wird heute in allen Bereichen des menschlichen Lebens Musiktherapie angewandt. Beginnend bei Schwangeren und Frühgeborenen, den Kindern und Jugendlichen, hilft Musiktherapie in allen Entwicklungsphasen, schwierigen Lebenssituationen, bei Krankheit und Krisen, bis hin zur Sterbebegleitung.

So wie Musiktherapie in allen Lebensphasen zur Anwendung kommt, spricht sie auch heilend den ganzen Organismus Mensch an. Dieser besteht aus Leib, Lebenskräften, Seele und geistiger Individualität, dem Ich.

Musiktherapie ist fast immer anwendbar, außer bei akuten Psychosen und hoch fieberhaften Erkrankungen. Sie wirkt zum Beispiel harmonisierend, fördert die Durchwärmung und Vertiefung der Atmung, kann beruhigend oder belebend, aufbauend, strukturierend und stärkend sein, steigert die Konzentrationsfähigkeit und regt Selbstwahrnehmung, Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen an.

Die Indikation zur Anthroposophischen Kunsttherapie im Fachbereich Musik kann aus allen medizinischen Fachbereichen gestellt werden und sowohl bei akut als auch bei chronisch erkrankten Patienten zum Einsatz kommen. Physischer, seelischer und musikalischer Atem verbinden sich in der Musik zu einer Ganzheit. Im therapeutischen Ansatz spricht die Musik den seelischen Erlebnisraum an, regt die gestalterischen Fähigkeiten an und wirkt ordnend bis in die Organzusammenhänge hinein.

In Vorträgen vor Medizinern, Musikern, Eurythmisten, Lehrern wies Rudolf Steiner auf die Zusammenhänge zwischen Mensch und Musik hin, wie die morphologischen, physiologischen, psychologischen Prozesse im Menschen den musikalischen Elementen und Gesetzmäßigkeiten entsprechen.

Ein Weg zum eigenständigen Erfassen dieser Zusammenhänge sah er in der goetheanistischen Phänomenologie: „Das musikalische Erlebnis betrifft den ganzen Menschen“ (Das Tonerlebnis im Menschen, 7. März 1923)

Das Studium der anthroposophischen Musiktherapie beinhaltet deshalb eine eingehende Beschäftigung mit der Phänomenologie, dem Erleben, Erkennen und Verstehen der musikalischen Elemente um sie im Zusammenklang mit dem medizinischen Wissen vom Menschen heilend therapeutisch einsetzen zu können.

Die Musikinstrumente/Therapieinstrumente spielen eine besondere Rolle in der Musiktherapie. „Der menschliche Organismus ist eigentlich, vom Gesichtspunkt des Musischen aus, ein Musikinstrument.“ (Rudolf Steiner 2. Dezember 1922). Es ergeben sich Diagnose- und Therapiemöglichkeiten durch die genaue Beobachtung und Wahrnehmung der Wirkung der Instrumentenform, des Instrumentenklanges und der Spielweise auf unterschiedlichen Instrumenten wie Blas-, Saiten- und Zupf- oder Schlaginstrumenten. Neben den Instrumenten ist auch der Gesang in der Therapie von Bedeutung.

Von der individuellen Therapiesituation hängt es ab, ob nur rezeptiv gelauscht oder aktiv musiziert wird, ob die Therapie komponiert oder improvisiert wird.

Ziel ist die Aktivierung der Selbstheilungskräfte des Patienten. Indem er in den musikalischen Prozess einbezogen wird, kann er zum Mitgestalter des Heilungsprozesses werden und Selbstwirksamkeit entfalten.

Die Wirkung der Musiktherapie auf den Atem, nicht nur im Gesang, sondern auch im Schwingen oder Streichen eines Instrumentes ist wesentlich im Therapieprozess. Der Weg vom Hören zum aktiven Lauschen, das Nachlauschen sowie das Nachwirken-lassen sind weitere Elemente in der Therapie und haben ihren Quellpunkt in der Stille.

So wirken in der Musiktherapie stets die Instrumente oder die Stimme in Verbindung mit den verschiedenen musikalischen Elementen von Melodie – Harmonie – Rhythmus sowie dem gezielten Einsatz der musikalischen Elemente. Sie bewirken nicht nur auf der Befindlichkeitsebene eine Lösung von Verspannungen seelischer Art, eine Verbesserung der Durchwärmung, Vertiefung der Atmung, Anregung der Verdauungstätigkeit, Harmonisierung des Bewegungsflusses, Durchseelung des Bewegungsstromes und Verbesserung der inneren Aufrichte, sondern entfalten auch bis in die Organtätigkeit hinein ihre Wirkung.

Musiktherapie ist in jeder Altersstufe möglich und heilsam. Sie kann bei fast allen Krankheiten und Krisen seelisch-geistiger oder körperlicher Natur eingesetzt werden, wie zum Beispiel:

  • in der Begleitung von Schwangeren (unter anderem bei frühzeitige Wehen),

  • bei Frühgeborenen,

  • um Kindern eine Inkarnationshilfe zu geben,

  • bei Entwicklungshemmnissen und –störungen,

  • zur Sprachanbahnung,

  • in der Pubertät bei Essstörungen sowie bei anderen Krisen der Jugendzeit,

  • in der Palliativ Care,

  • in der Sterbebegleitung,

  • zur Verarbeitung von Trauer,

  • bei Schlafstörungen,

  • bei Schmerzzuständen,

  • bei traumatischen Erfahrungen,

  • bei Störungen des Sozialverhaltens,

  • bei Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen,

  • bei Herz- und Kreislauferkrankungen,

  • bei entzündlichen Erkrankungen,

  • bei Atemwegserkrankungen,

  • bei Verdauungsproblemen und Erkrankungen der Verdauungsorgane,

  • bei organischen Beschwerden durch Funktionsstörungen von Niere, Leber, Lunge, Milz oder Galle sowie den Erkrankungen dieser Organe,

  • bei Karzinombildungen,

  • bei chronischen Beschwerden,

  • bei Erschöpfung und in der Rekonvaleszenz,

  • bei rheumatischen Erkrankungen,

  • bei Angststörungen, Zwangserkrankungen, Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen,

  • bei dementiellen Erkrankungen,

  • bei Erkrankungen des Nervensystems,

  • in der Heilpädagogik:

    • bei tiefgreifenden Entwicklungsstörungen,

    • bei epileptischen Erkrankungen,

    • bei genetisch bedingten Erkrankungen,

    • bei Schwerhörigkeit und Taubheit,

    • bei konstitutionell bedingten Störungen (neurasthenische oder hysterische Phänomene).