Die Geschichte der anthroposophischen Gesangs- und Musiktherapie
Der Versuch einer Chronologie
• 1900-1925
Rudolf Steiner hält Vorträge zum Wesen des Musikalischen, zur allgemeinen und medizinischen Menschenkunde, zum Zusammenhang von Kosmos und Mensch, zur Christologie.
• 1912-1924
Nach dem ersten persönlichen Gespräch zwischen Valborg Werbeck-Svärdström und Rudolf Steiner folgen 12 Jahre intensiver Zusammenarbeit, in welchen sie ihre Forschungen zu einem zeitgemäßen Singen weiter ausarbeitet und ihm ihre Forschungsergebnisse mitteilt. Auf Nachfrage autorisiert er sie zur Gründung einer Gesangsschule, da diese nach seinen Worten ganz auf dem Boden der Anthroposophie steht. Ihre Schülerinnen und Schüler nimmt er unbesehen in die Erste Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft auf, da dieser Weg des Singens für ihn auf künstlerischem und spirituellem Gebiet eine Schulung ist.
• 1920
Anny von Lange begegnet Rudolf Steiner, studiert von dieser Zeit an anthroposophische Schriften und beschäftigt sich ab 1931, angeregt durch Goethes Entwurf zu einer Tonlehre und innerlich aufgerufen durch die vielfältigen musikalischen Hinweise Rudolf Steiners intensiv mit dem Studium der musikalischen Phänomene.
• 1923-1926
Edmund Pracht wird Mitglied der durch Günther Wachsmuth begründeten sog. „Wächtergruppe“ beim Neuaufbau des Goetheanums. Hier lernt er seinen späteren Freund Lothar Gärtner kennen. In einer der Nächte bekommt er die Inspiration für die dann 1926 neu erschaffene Leier. Im heilpädagogischen Heim „Sonnenhof“ in Arlesheim macht Edmund Pracht seine ersten therapeutischen Erfahrungen mit der Leier.
• 1927
Es erscheinen erstmals in der Natura-Zeitschrift von der Ärztin Hilma Walter und der Heilpädagogin und Heileurythmistin Julia Bort Artikel über die heilende Wirkung der Musik in der Heilpädagogik.
Aus einem Brief von Frau Werbeck an Ita Wegman wird deutlich, dass Ita Wegman die therapeutische Wirkung dieses Singens so schätzt, dass sie einer Schülerin Frau Werbecks Patienten überweist. In diesem Brief geht es um eine Patientin nach einer OP an der Schilddrüse bei Basedow.
• 1934
Pfingsten: Dr. Eugen Kolisko hält im Anschluss an die Pfingsttagung mit Beiträgen von Karl König, Karl Schubert, Frau Werbeck und sich selber nach fast 10-jähriger Zusammenarbeit mit Frau Werbeck vor ihren Schülern im heilpädädagogischen Heim Pilgramshain in Schlesien einen Vortragszyklus mit dem Titel „Sozialtherapeutischer Gesangskurs“, wo er wesentliche Grundlagen zur Gesangstherapie aufzeigt. Bei dem Kurs anwesend ist auch Karl König, der seit 1928 dort als Arzt tätig ist, bevor er 1935 Deutschland verlässt und nach Schottland emigriert.
• 1934
Maria Führmann, die schon vor 1926 die Anthroposophie kennengelernt hat, begegnet zum ersten Mal Anny von Lange bei einem Kurs, den diese im Hamburger Zweig der anthroposophischen Gesellschaft zum Studium musikalischer Phänomene nach goetheanistischer Methode hielt. 1953 zogen sie, nachdem sie schon früh beschlossen hatten, ihre Arbeit gemeinsam durchzuführen, nach der Ausbombung in Hamburg nach Stuttgart, wo sie durch die Hilfe von Peter v. Siemens die Freie Künstlerische Bildungsstätte Nürnberg gründeten.
• 1939-43
Julius Knierim studierte in Berlin Musikwissenschaft, war schon durch seine Verwandtschaft in die Anthroposophie hereingewachsen und lernte in Berlin im Untergrund im 3. Reich durch seine spätere Frau Maja die Eurythmie und vor allem die Leier kennen. Nach dem Krieg lernte er die Waldorfpädagogik in Stuttgart u. folgte der Anfrage A. Strohscheins nach dem Krieg nach Hepsisau, wo er am Michaelshof eine neue Art von Hören mit den dort lebenden beeinträchtigten Kindern erübte, 1961 den „Kreis der lehrenden Leierspieler“ begründete und 1970 Mitbegründer der Freien Musikschule war. Sein Impuls war der Einklang von künstlerischem, pädagogischem und therapeutischem Tun.
• 1947
lernte Maria Schüppel die Anthroposophie in Weimar kennen, nahm dann immer wieder an musikalischen Tagungen teil, wo sie auch Anny von Lange kennenlernte, die sie zu ihrer Nachfolgerin machen wollte. Doch Maria lehnte ab. Bei einem dieser Kurse war sie tief beeindruckt von einem Therapiebeispiel Maria Führmanns, u. die heilende Kraft der Musik be-schäftigte sie ab diesem Zeitpunkt. Bei ihrer Flucht nach Westberlin 1957 kam der Impuls zur Musiktherapie und bei Nachfrage 1958 in Dornach, wo sie das denn lernen könnte, bekam sie die entscheidende Antwort: gehen sie ins Sanatorium Wiesneck (heute Friedrich-Husemann-Klinik) und entwickeln dort die Musiktherapie mit den Ärzten. Das tat sie in den nächsten Jahren.
• 1952
Veronika Bay ging von Karl König gerufen nach Schottland, um dort gemeinsam mit Susanne Lissau (später Susanne Müller-Wiedermann) musikalisch mit taubstummen Kindern zu arbeiten. Hier machte sie ihre ersten Erfahrungen im Bereich der Musiktherapie.
• 1954
Dr. Hans-Heinrich Engel besucht von Schottland aus, wohin er 1951 zu Karl König kam und bald dessen engster Schüler und Mitarbeiter wurde, das heilpädagogische Heim St. Prex. Hier beginnt er gemeinsam mit Johanna Spalinger die ersten Musiktherapien zu geben. In seinen weiteren Forschungen wurde er sehr von Karl König unterstützt. Er vertiefte sich immer mehr in die Musik und hielt schon 1959 Vorträge über eine musikalische Anthropologie.
• 1955
Anny von Lange lädt Hermann Pfrogner auf die dritte, die von ihr seit 1953 geleiteten Tagungen nach Land en Bosch (NL) ein. Auf den folgenden Tagungen, die dann von Prof. Otto Crusius, Wilhelm Dörfler und Fritz Büchtger geleitet wurden, war Hermann Pfrogner stets wie auch bei den heilpädagogischen Konferenzen in Christophorus, Camphillgemeinschaft in Bosch en Duin (NL) tätig anwesend.
• 1958
In dem Sammelband „Musik und Medizin“ von H. R. Teirich erscheint ein ausführlicher Artikel Dr. Karl Königs über Musiktherapie in der Heilpädagogik.
• 1961
lud Freda von Bültzigslöwen zur sog. Plansee-Konferenz ein. Anwesend waren:
Marija Slotemaker de Bruin, Branda Reeskamp (Eurythmistin), Veronika Bay, Liesel Brett, Gertrud Müller-Ost, Maria Schüppel, Frau Dr. Angelika Klaus, Freda von Bültzigslöwen, Ingrid Klose.
Die Konferenz wurde einberufen, um Ideen zu erörtern, die eventuell zur Begründung eines anthroposophischen Konservatoriums führen sollten. Veronika Bay beschreibt das Folgende so: „Am Abend des Pfingstsonntags entstand ein Schlüsselerlebnis nach dem Betrachten des Sternenhimmels, das dazu führte, das Therapeutische der Musik in den Mittelpunkt zu stellen: Das Wort „Heilen“ stand da, um in alle Richtungen auszustrahlen.“ (aus: „Rundbrief für Musiktherapie auf anthroposophischer Grundlage, Nr. 3, Juni 1990, S.11).
• Ab 1961
im Heim „Christophorus“ Aufbau der Musiktherapie unter Anleitung von Hans-Heinrich Engel durch Veronika Bay u. Marija Slotemaker.
• 1962
Maria Schüppel u. Hildegard Prym lernen sich kennen.
• 1963
Begründung der ersten anthroposophischen Musiktherapieausbildung durch Maria Schüppel in Berlin.
• 1969
Begründung der Musiktherapeutischen Arbeitsstätte e.V. Berlin.
• 1970
Aus dem Choroi-Impuls heraus wurde durch Julius Knierim, Johanna Spalinger, Christof-Andreas Lindenberg u.a. in Hepsisau eine Freie Musikschule als Wanderstudium begründet; Ziel war der Einklang von Kunst, Pädagogik und Therapie.
• 1974-1981
Ausbildung in Christophorus (NL): Veronika Bay, Branda Reeskamp, Maria v. d. Berg, Doris Blumb, Christfried Gradenwitz.
• 1983
Begründung der Musiktherapieausbildung „De Wervel“ in Driebergen (NL) durch Eva Mees-Christeller; seit 2006 Weiterführung an der Hochschule Leiden durch Odulf Damen u.a.
• 1983
Der Dortmunder und holländische gesangstherapeutische Forschungskreis standen in regem Austausch und forschten gemeinsam, intensiviert auch auf Anregung Michaela Glöcklers auf der ersten Kunsttherapietagung am Goetheanum im Januar 1989; aus diesem Kreis entstanden auch die Beiträge zum Gesangstherapieteil der 4-bändigen Kunsttherapiebuchreihe.
• 1986-1998
Begründung und Leitung der Anny-von-Lange Schule in Hamburg durch Rita Jacobs.
• 1997
Begründung der Orpheus-Schule für Musiktherapie in der Schweiz durch Johanna Spalinger und Marlise Maurer mit Dr.med. Heinrich Schneider.
• 2000-2020
Beginn der Ausbildung zur Gesangstherapie in Deutschland durch Thomas Adam in Langenberg; der letzte Ausbildungskurs in Langenberg endete im Juni 2020.
• 2001
Christof-Andreas Lindenberg begründet gemeinsam mit seiner zweiten Frau Norma Lindenberg die Dorian School of Music Therapy in Beaver Run, Glenmoore, PA, USA. Es wurden zwei berufsbegleitende vierjährige Ausbildungskurse durchgeführt.
• 2001
Begründung des russischen Seminars für Musiktherapie "Harmonia" in Moskau, der ersten Ausbildung für anthroposophische Musiktherapie in Russland durch Elena Nisnevich. Es wurden zwei Ausbildungskurse durchgeführt, 2001-2006 und 2011-2014, begleitet und zertifiziert von der Musiktherapeutischen Arbeitsstätte e.V. Berlin, vertreten durch Viola Heckel und Frøydis Lutnaes-Mast. 2002-2004 unter Mitwirkung von Heiner Ruland. 2020 hat unter Leitung von Elena Nisnevitsch, Tatiana Petrankina sowie Anna Myshkina u.a. ein neuer Kurs angefangen.
• 2001
ausgehend von einer Anfrage der Waldorfschule in Bangkok (Thailand) gibt der Musiktherapeut Stephan Kühne Kurse im asiatischen Raum, vor allem in Thailand und China.
• 2010
begann auf Initiative von Tatjana Stepanova in der Tagesstätte „Turmalin“ in Moskau eine musiktherapeutische Weiterbildung für Heilpädagogen begleitet von Katarina Seeherr und Dozenten aus Holland. 2020 hat ein neuer Kurs begonnen u.a. unter Mitwirkung von Elena Gorlova aus St. Petersburg. Über einen Kontakt zur Abteilung für Musikpädagogik an der Pädagogischen Universität Ural entstand ein Studienprogramm das zur „Musiktherapie in der Heilpädagogik“ qualifiziert.
• 2010
wurde in Kiew (Ukraine) die Musiktherapieschule „Equilibrium“ gegründet. Seit Bestehen gab es zwei Ausbildungsgänge: Der erste Kurs (2004-2008/9) wurde von Dozenten aus den Niederlanden ausgebildet u.a. Wendy van Driesten, Jolanda Grootendorst, im zweiten Kurs (2010-2015) kamen Kataryna Korobova (Deutschland) und Musiktherapeutinnen aus der Ukraine u.a. Angelika Merzalova und Svetlana Protasova hinzu.
• 2010
In Japan wurde unter der Leitung von Kyoko Takeda und Sakura Kudo in Kooperation mit der Musiktherapeutischen Arbeitsstätte e.V. Berlin, vertreten durch Stephan Kühne und Peter Fausch, von 2010-2015 ein erster und von 2015-2018 ein zweiter Ausbildungskurs in anthroposophischer Musiktherapie durchgeführt.
• 2011-2015
Ursprünglich in Madrid geplant, fand 2011-2012 in Las Palmas de Gran Canaria (Spanien) eine einmalige einjährige Vollzeitausbildung für Musiktherapie statt, aufgebaut und organisiert von der Musiktherapeutin Heleen de Haas (NL) in Kooperation mit der Musiktherapeutischen Arbeitsstätte e.V. Berlin, vertreten durch Stephan Kühne und Peter Fausch. Die Zertifizierung erfolgte 2015 nach der Anerkennungszeit mit Praktika auf dem europäischen Festland.
• 2014
In Seoul, Südkorea begann unter Leitung von Hong-Chang Kim und Susanne Reinhold in Kooperation mit der Musiktherapeutischen Arbeitsstätte e.V. Berlin ein Grundkurs für anthroposophische Musiktherapie, aus dem sich eine berufsbegleitende Weiterbildung entwickelte, die 2018 zum Abschluss führte. Ein weiterer Kurs hat begonnen.
• 2014-2017
Durchführung einer einmaligen dreijährigen berufsbegleitenden Weiterbildung für anthroposophische Musiktherapie in Peking mit Stephan Kühne in Kooperation mit der Musiktherapeutischen Arbeitsstätte e.V. Berlin.
• 2016
Auf Initiative von Yael Barak wurde 2016 in Israel im Kibbuz Harduf die Bat Kol Musiktherapieausbildung begründet. Der erste Kurs begann in Kooperation mit der Orpheus-Schule für Musiktherapie (CH) unter der Leitung von Marlise Maurer und schloss 2021 ab.
• 2017
Beginn einer berufsbegleitenden Ausbildung für Musiktherapie in Italien mit Laura Piffaretti in Kooperation mit der Orpheus-Schule für Musiktherapie (CH).
• 2019
Beginn der Anthroposophischen Musiktherapie Fortbildung an der Akademie Havelhöhe Berlin bei Rosmarie Felber, Jutta Gevecke und Katarina Seeherr.
• Seit 2020
In München wird seit 2020 mit Andrea Stückert u.a. und in Hamburg seit 2021 mit Stefanie Aurig u.a. die Weiterbildung zur Gesangstherapie weitergeführt.